Die politische Dimension

Ist die Titelüberschrift „Die politische Dimension“ nicht entweder etwas überzogen oder trivial? Trivial könnte die politische Dimension eines Buchprojekts sein, weil natürlich alles, was sich in unserer Kultur ereignet, eine politische Dimension hat, insbesondere Beiträge, die sich mit Weltbildproduktion beschäftigen. Auf der anderen Seite könnte man einwenden, dass ein Buch nur ein Buch ist und kein Massenaufstand oder eine Äußerung von Angela Merkel. Dennoch finde ich diese Überschrift angemessen, weil es im Buch immerhin um die Frage geht, wie wir die in den letzten Jahrtausenden entstandenen hierarchischen Strukturen und den übergroßen politischen Einfluss von kleinen Machteliten abschütteln können. Das letzte Großprojekt mit vergleichbaren Zielen, der Marxismus, der das Eigentum an Produktivkräften abschaffen wollte, ist grandios gescheitert. Warum eigentlich? Denn das Eigentum an Produktivkräften ist sicher ein zentrales Problem. Was wurde in den Tiefenstrukturen der Kulturen falsch eingeschätzt oder missachtet?

Die in meinem Buch durchgespielte Antwort lautet: Der stille Zweck der metaphysischen Jahrtausende, der Zeit der Geistprojektionen ins Jenseits, wurde nicht verstanden. Die Götter im Jenseits zeigen sich heute als ideale Sprungbretter für eine menschliche Selbsterhöhung, die sich nur noch aus sich selbst heraus als über der Natur stehend behaupten will. Einen alles beherrschenden Geist über die Welt zu setzen, mit dem man sich verwandt und in enger Beziehung stehend fühlt, ist eben nur eine gut getarnte Form eines rein menschlichen Anspruchs auf Übernatürlichkeit. Der Träger und der Ausdruck der offenen, ungetarnten selbsterhöhenden Geistigkeit ist in der heutigen bürgerlichen Kultur das freie Ich, das den Körper besitzt und steuert. Und genauer betrachtet ging es in der metaphysischen Zeit schon immer um das Ich.

Was hat diese Feststellung nun mit Politik zu tun?
Einerseits liegt schon der Bewegung von der Gottesprojektion zum offenbarten Ich eine Demokratisierungsbewegung zugrunde. Eine Legitimation der Herrschaft durch Aristokraten, Priester oder Könige fällt natürlich viel leichter, wenn die Hierarchie durch einen Gott getoppt und abgesegnet wird. Eine offene Rückführung der menschlichen Übernatürlichkeit auf jedes einzelne Ich diente den Bürgern bei der Befreiung von Adel und Königreich. Jeder Mann und jede Frau wurden Persönlichkeiten und nannten sich Damen und Herren. Doch der wohlhabende Bürger hatte natürlich kein Interesse daran, dass nun jeder Knecht und Arbeiter den gleichen politischen Einfluss hatte wie er. Vom Stimmrecht nur für Besitzende bis hin zur heutigen Lobbykratie haben sie sich viel einfallen lassen, um ihren politischen Einfluss zu wahren. Eine direkte Demokratie werden sie mit allen Mitteln zu verhindern suchen (Lobbyismus funktioniert nur, wenn die Zahl der Volksvertreter nicht zu groß ist).
Andererseits wurde nämlich die wichtigste Begleiterscheinung der Selbsterhöhung nicht angetastet: die Eigentumfähigkeit der Persönlichkeit.

Wollen wir eine echte Demokratie, müssen wir das persönliche, den Körper besitzende Ich als ein Einbildung durchschauen. [Provisorischer Abschluss, wird fortgesetzt.]

Leserreaktionen

Liebe Leserinnen und Leser,

diesen ersten Beitrag möchte ich nutzen, um Ihnen eine Reaktion in Form von Kommentaren zu ermöglichen, die sich ganz allgemein mit meiner Bucherscheinung oder dieser Website beschäftigen. Das Buchprojekt hat mich über zehn Jahre meines Lebens beschäftigt und auf diesem Hintergrund ist vielleicht verständlich, warum in dieser Erscheinungsphase mich jeder Kommentar brennend interessiert. Haben Sie vielleicht nur die Beschreibung gelesen und finden das ganze Projekt verrückt oder unverständlich. Schreiben Sie, was sie denken, oder besser noch, schreiben Sie, was Sie fühlen.

Manfred Gith